Während ich diese Zeilen schreibe wird mir klar, wie außergewöhnlich dieses Ereignis für mich war: Ich kann es kaum glauben, 2007 ist schon wieder so verdammt lange her! Der Christopher Street Day wird seit 1970 jedes Jahr aufs Neue, in so ziemlich jeder Großstadt der (freien) Welt gefeiert. Vor 15 Jahren war ich das erste Mal ein Teil davon. In einer Zeit, in der es noch sehr viel leichter war sich zu outen, als ein paar Jahre zuvor, machte ich mich allein auf den Weg in die Hauptstadt, ohne zu ahnen was mich hier erwarten würde.
Ich traf am Vorabend des Pride im Berliner Stadtteil Hohenschönhausen ein, um bei einem bekannten zu übernachten den ich erst einige Wochen Vorher über ein Forum kennengelernt hatte. Dieses Wochenende war der Startschuss für eine Freundschaft die noch lange Zeit anhalten sollte. Als wir am nächsten Morgen am völlig überfüllten Startpunkt des Pride, dem Kurfürstendamm ankamen, lag eine überwältigende Partystimmung in der Luft. Die fetten Bässe dröhnten aus den bunt geschmückten Trucks, es roch nach einer Mischung aus Großstadtqualm und süßem Holunder und Zuckerwatte. Keine Ahnung, woher der Geruch kam, aber er änderte sich auch gefühlt alle fünf Meter.
Wir warteten noch auf einige Communitymitglieder aus der “Queer as Folk” Forum, bevor sich unsere Gruppe aus ungefähr 10 Personen in den beginnenden Umzug eingliederte. Wir folgten einem der rund 60 Trucks, bei dem uns die Musik gefiel und tauchten ein in einen Rausch aus Musik, fantastischer Partystimmung und saugten die positive Energie, die uns von Passanten und aus den Häusern zuwinkenden Menschen geradezu entgegengeschleudert wurde auf. Ich kann es schlecht in Worte fassen und es klingt ziemlich kitschig, ich wünschte mir, dass dieses Gefühl der liebe ewig währen sollte.
Nach einiger Zeit kamen wir im Schwul/Lesbischen Stadtteil Schöneberg an. Die Sonne brannte heiß und wir suchten den Schatten der Häuser, die unseren Weg flankierten. In einem Hochhaus um die Ecke entdeckte ich weit oben, dass ein päärchen unsere Richtung winkte und sich dann umarmte und küsste. Sie machten Fotos von unserer Gruppe, und wir posierten natürlich. Überall am Straßenrand standen winkende Menschen aus allen Altersgruppen, es schien hier für alle so normal zu sein. Alle waren hier so ausgelassen, nett, offen und ohne Vorurteile. Dieses Gefühl war einfach überwältigend. Ein paar Wochen Später las ich, dass der Rapper Bushido und Leute aus seinem Dunstkreis an einem der Cafés auf der Route wartend Pöbeleien in Richtung der Demoteilnehmer richteten. Es kam zu Rangeleien. Die Polizei musste eingreifen und es kam zu Platzverweisen und Verhaftungen. Davon merkten wir aber wirklich nichts. Zu keinem Zeitpunkt fühlte ich mich nicht willkommen oder unsicher. Es war, wie ein Teil einer riesigen Familie zu sein, und dieses Gefühl konnte uns keiner nehmen.
Päärchen küssten und umarmten sich, als wäre es das normalste der Welt. Da wo ich herkam, war das ganz und garnicht selbstverständlich. Hier in der Provinz hatte ich diese Art der Offenheit nicht erlebt. Ich wollte hier nicht mehr weg, der Tag sollte kein Ende nehmen! Im Juni 2007 war ich noch ungeoutet, ich hatte auch noch keinen Freund, aber ich fühlte mich definitiv als Teil dieser Community und ich war glücklich das ich die Möglichkeit hatte diesen Tag mit den Freunden aus der Gruppe Teilen zu können. Es waren viele bewegende Momente, an die ich mich erinnere, vor allem aber die Blicke der Fremden, die einem zuzwinkerten und damit sagten: geh deinen Weg, steh zu dir, sei mutig. Ich stellte mir vor, wie es wäre hierher zu ziehen. Würde dieses Gefühl dann immer präsent sein? Ist der Alltag hier auch so wie an diesem Sommertag? Ganz sicher nicht, so naiv war ich dann doch nicht. Aber der Gedanke hierher zu ziehen kam mir lange Zeit immer wieder in den Sinn.
Um den Bogen zu schließen: warum hat der CSD mein Leben verändert. Nun durch die Erlebnisse und die vielen positiven Momente, an die ich noch heute gerne zurückdenke, fiel es mir letztendlich leichter mich vor meinen Freunden und meiner Familie zu Outen. Hier auf dem Land war das damals noch nicht so selbstverständlich einfach wie heutzutage. Sicher hätte ich das auch irgendwann ohne die Erlebnisse in Berlin getan, aber wahrscheinlich hätte der Prozess länger gedauert.
Warum ich gerade heute davon Schreibe? Der erwähnte Freund, der mich für ein Wochenende in seiner Wohnung und seinen Freundeskreis aufnahm, ist vor einigen Monaten verstorben. Es kam ohne Vorwarnung und hat mich sehr mitgenommen. Das hat mir wieder gezeigt, wie schnell es uns alle treffen, und vorbei sein kann. Lasst euch nicht vom Alltagstrott kaputt machen erinnert euch an das schöne und schafft euch neue Erinnerungen. Lebt im hier und jetzt und nicht in der Vergangenheit. Ich muss oft an Ronny denken, und die Zeit, die wir gemeinsam verbracht haben. Wir haben uns in den darauffolgenden Jahren immer wieder zum CSD nicht nur in Berlin getroffen. Aber dieses Wochenende im Juni 2007, war die intensivste Erfahrung, meines Lebens, und nicht nur dafür werde ich ihm für immer dankbar sein.